Stoppt Gewalt, Vertreibung und Straflosigkeit im Aguán-Tal, Honduras
Die Menschenrechtssituation in den von PWS begleiteten kleinbäuerlichen Kooperativen in der Region Bajo-Aguán, im Departement Colón im Norden von Honduras, hat sich seit der Ermordung des Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Juan Antonio López im September 2024 dramatisch zugespitzt: Allein zwischen Ende Dezember 2024 und Anfang Februar 2025 ereigneten sich mehrere schwere Angriffe:
- Am 24. Dezember 2024 kam es zu der gewaltsamen Vertreibung der Genossenschaft Los Camarones durch schwer bewaffnete, kriminelle Gruppen. Seitdem befinden sich 160 Familien der Genossenschaft Camarones in einer überaus prekären humanitären Lage.
- Am 2. Januar 2025 wurde Arnulfo Díaz, Mitglied der Genossenschaft Brisas del Aguán, ermordet.
- Seit dem 27. Januar 2025 sind die Genossenschaften Tranvío und El Chile Opfer erneuter Einschüchterungen und Vertreibungsversuche geworden. An diesem Tag griffen bewaffnete Gruppen beide Genossenschaften an, verletzten ein Mitglied und entführten und folterten ein weiteres, welches aber später von der Polizei befreit werden konnte.
- Am 2. Februar 2025 wurden José Luis Hernandez Lobo und seine Partnerin Suyapa Guillén ermordet. Beide waren aktive Mitglieder der Genossenschaft Gregorio Chávez und Vertreter*innen der Bauernbewegung.
- Seit Wochen intensiviert sich eine Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne in Medien und sozialen Netzwerken gegen die beiden kleinbäuerlichen Organisationen Plataforma Agraria und Coordinadora de Organizaciones Populares del Agúan (COPA). Ihre Führungspersonen befinden sich in akuter Gefahr.
Die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen stehen im Zusammenhang mit der Palmölproduktion der Corporación DINANT. 33 Menschenrechts- und Umweltorganisationen, darunter PWS, fordern in einem dringenden Appell Unternehmen auf, auf Palmöl des Herstellers DINANT zu verzichten.

Landkonflikt und systematische Gewalt im Bajo-Aguán
Der Konflikt im Aguán-Tal hat seine Wurzeln in der Umstrukturierung der Agrarpolitik in Honduras[1]. In den 1960er-Jahren wurde im Rahmen der Agrarreform Land an Kleinbäuer*innen und bäuerliche Kooperativen verteilt. Ab 1992 begann jedoch mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Modernisierung und Entwicklung des Agrarsektors eine Konzentration von Landbesitz in den Händen von Grossgrundbesitzer*innen und Agroexporteur*innen, insbesondere durch die Förderung der Palmölproduktion. Dieses Gesetz ermöglichte die Privatisierung von genossenschaftlich verwaltetem Land, wodurch Grossunternehmer*innen und transnationale Konzerne grosse Landflächen auf illegale oder zweifelhafte Weise erwerben konnten.
Besonders betroffen von dieser Entwicklung waren die Regionen nahe der wirtschaftlich bedeutenden Städte Tocoa und Trujillo, wo Kleinbäuer*innen, Afro-Honduraner*innen und indigene Gemeinschaften ihr Land verloren[2]. In der Folge formierten sich starke Bauernbewegungen und zivilgesellschaftliche Basisorganisationen, die sich beispielsweise über die Plataforma Agraria, ein von PWS begleiteter Bauernverband und die Coordinadora de Organizaciones Populares del Aguán (COPA), ein Dachverband sozialer Organisationen, für ihre Landrechte und den Schutz ihrer natürlichen Ressourcen einsetzen. Die Bauernbewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen kämpfen gegen einflussreiche Gruppen von Agroexporteur*innen, die historisch eng mit korrupten lokalen und nationalen staatlichen Behörden verbunden sind sowie auf private Sicherheitsfirmen und kriminelle Banden zurückgreifen. Die Plataforma Agraria und die COPA klagen beispielsweise an, dass die gewaltsamen Vertreibungen vom 24. Dezember 2024 von einer kriminellen Gruppe namens „Los Cachos“ durchgeführt wurden, die Beziehungen zur Corporación DINANT unterhält und von dieser koordiniert wird[3]. Die enge Verflechtung von Wirtschaftseliten mit Drogenkartellen, die über die honduranischen Landesgrenzen hinaus agieren, verschärft die Landkonflikte und Straflosigkeit noch zusätzlich.

Blockierte Reformen und politische Verantwortung
In der aktuellen Krise fordern über 70 NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen, unterstützt von PWS als koordinierende Organisation der Menschenrechtsgruppe der Asociación de Cooperación Internacional (Espacio ACI), in einer Medienmitteilung vom 12. Februar 2025 entschlossene Massnahmen:
- Schutz für bedrohte Bauernfamilien: Die Kooperativen Camarones, El Tranvío und El Chile sollen aufgrund permanenter Angriffe durch bewaffnete Gruppen und private Sicherheitsfirmen der Corporación DINANT zum Notstandsgebiet erklärt werden.
- Umsetzung bestehender Vereinbarungen: Die Präsidentin Xiomara Castro und ihre Regierung muss das 2022 unterzeichnete Abkommen mit der Plataforma Agraria und COPA einhalten und die Landrechte der Bäuer*innen sichern.
- Einsetzung einer Wahrheitskommission: Menschenrechtsverletzungen müssen aufgeklärt und Entschädigungsmechanismen geschaffen werden.
- Bekämpfung krimineller Gruppen: Die Nationalpolizei und Staatsanwaltschaft müssen gegen bewaffnete Gruppen vorgehen, die Kleinbäuer*innen terrorisieren.
- Rückkehr der Vertriebenen: 150 Familien der Kooperative Camarones müssen sicher auf ihr Land zurückkehren können.
- Warnung an die Regierung: Sollte keine strategische Lösung erfolgen, würde sich die Präsidentin durch Untätigkeit mitschuldig an Gewalt, Vertreibung und Morden machen.

Insbesondere fordern die Organisationen von der Regierung, dass sie die mit der Plataforma Agraria und der COPA am 22. Februar 2022 unterzeichnete Vereinbarung umsetzt. Damals erweckte die Vereinbarung, wegen ihres menschenrechtlichen Ansatzes zur Lösung des historischen Problems, viel Hoffnung. Sie enthält 15 Punkte und zielt darauf ab, die strukturellen Ursachen des Landkonflikts zu adressieren [4]. Eine Dreierkommission (Comisión Tripartita), bestehend aus Vertreter*innen der staatlichen Institutionen, der betroffenen Bauernorganisationen sowie der Agrarkonzerne und Grossgrundbesitzer*innen, sollte Menschenrechtsverletzungen untersuchen und aufarbeiten, Lösungen für die Landrechtsproblematik erarbeiten, die Umsetzung von Vereinbarungen überwachen und Empfehlungen für Sicherheitsmassnahmen abgeben, mit dem Ziel weitere Gewalt zu verhindern.
Die jüngste Eskalation im Aguán zeigt, dass die Kommission entweder handlungsunfähig ist oder von politischen und wirtschaftlichen Interessen blockiert wird. Zwar konnte die Gewalt seit Februar 2025 durch eine verstärkte Polizeipräsenz eingedämmt werden, doch nachhaltig Lösungsansätze bleiben aus.
Aufruf zur Solidarität
Die nationale und internationale Gemeinschaft ist aufgefordert, die alarmierende Situation im Aguán-Tal nicht zu ignorieren. Ohne konsequente Massnahmen wird sich die Spirale aus Gewalt, Vertreibung und Straflosigkeit weiter fortsetzen, mit verheerenden Folgen für die Bauernfamilien und die Menschenrechte in Honduras.

[1] https://cespad.org.hn/foro-conflicto-agrario-en-el-aguan-causas-estructurales-caracteristicas-de-la-disputa-social-y-un-nuevo-enfoque-para-una-salida-democratica/
[2] https://cespad.org.hn/foro-conflicto-agrario-en-el-aguan-causas-estructurales-caracteristicas-de-la-disputa-social-y-un-nuevo-enfoque-para-una-salida-democratica/
[3] https://www.defensoresenlinea.com/la-plataforma-agraria-regional-del-valle-del-aguan-y-copa-denuncian-desplazamiento-forzado-de-campesinos/
[4] https://cespad.org.hn/analisis-semanal-el-bajo-aguan-la-radiografia-del-fracaso-de-la-institucionalidad-de-derechos-humanos-en-honduras/