Interview mit unseren Menschenrechtsbegleiterinnen

Interview mit unseren Menschenrechtsbegleiterinnen

PWS hat Angela Escher und Pia Caduff nach ihrem Einsatz in Osttimor zu ihrer Motivation, den besonderen Herausforderungen und ihren Eindrücken vor Ort befragt.
Die zwei Menschenrechtbeobachterinnen Pia Caduff und Angela Escher anlässlich eines „Sensibilisierungstages für Menschenrechte“ im Gefängnis von Becora in Dili, Timor-Leste. Foto: Odino da Costa (HAK), Juni 2024.
PWS: Was hat dich motiviert, einen Abklärungseinsatz für PWS in Osttimor zu leisten und wie hast du dich darauf vorbereitet?

Angela: „Vor zehn Jahren habe ich für PWS in Honduras gearbeitet, zuerst als Volontärin und später in der Projektkoordination. In dieser Zeit hat sich unser Projekt neu orientiert – eine spannende, aber auch herausfordernde Phase. Diese Erfahrung hat mich geprägt und ich war motiviert, wieder für PWS zu arbeiten, diesmal in einem innovativen Abklärungseinsatz. Da ich den asiatischen Raum nicht kannte, war es für mich eine Gelegenheit, tief in eine neue Kultur und Geschichte einzutauchen“.

Pia: „Osttimor war für mich völliges Neuland. Da ich nur eine vage Vorstellung von Land und Gesellschaft hatte, habe ich mich intensiv mit der Geschichte, Wirtschaft, Kultur und den Lebensbedingungen vor Ort auseinandergesetzt. Da einer unserer Schwerpunkte die Menschenrechte im Strafvollzug waren, musste ich mich auch in dieses Thema einarbeiten. Die Sprache war mir auch fremd, so dass ich ein Handbuch des US Peace Corps fand, um mir Grundkenntnisse in Tetun, einer der Landessprachen, anzueignen“.

PWS:  Welche besonderen Herausforderungen hast du während deines Einsatzes erlebt und wie bist du damit umgegangen?

Angela: „Die grösste Herausforderung für mich war die Sprachbarriere. Wir haben mit einem Übersetzer gearbeitet, was für mich Neuland war. Oft erfährt man zwischen den Zeilen viel über die Gedanken und Gefühle der Menschen, aber diese Feinheiten gehen in der Übersetzung oft verloren. Mir fehlten auch die Alltagsgespräche mit den Mitarbeitenden von HAK (unserer Partnerorganisation) und die typischen Anekdoten, die man von Taxifahrern hört und die einem helfen, die Kultur besser zu verstehen. Zudem war der Alltag viel entschleunigter als in der Schweiz – ein grosser Unterschied, der mir aber auch gut getan hat“.

Pia: „Die Sprachbarriere war auch für mich die grösste Herausforderung, obwohl wir einen sehr engagierten Dolmetscher hatten. Zum Glück wurde Tetun kurz nach unserer Ankunft in Google Translate aufgenommen, was den Alltag erleichterte. Auch das tropische Klima und der ständig hohe Lärmpegel waren ungewohnt und erforderten viel Geduld. Die einfachen Wohnverhältnisse und das langsame Internet waren eine zusätzliche Umstellung, die ich aber als Teil des Abenteuers annahm“.

PWS:  Was ist dir besonders aufgefallen oder hat dich beeindruckt?

Angela: „Osttimor ist ein Land voller Überraschungen! Trotz seiner gewalttätigen Vergangenheit ist es ein sehr friedliches und sicheres Land. Die Menschen sind sehr freundlich und stolz auf ihre Unabhängigkeit. Ein besonders kurioses Erlebnis war die Fussball-Europameisterschaft: Als Portugal (ehemalige Kolonialmacht) spielte, wurde Dili mit portugiesischen Fahnen überschwemmt. Die Spiele wurden sogar mitten in der Nacht auf Grossleinwänden übertragen, die Hauptstraße vor dem Regierungssitz wurde gesperrt und die Stadt war im Fußballfieber – ein unvergesslicher Anblick! “

Pia: „Ich war tief beeindruckt von dem Engagement der Frauen, die sich gegen sexuelle Gewalt in Osttimor einsetzen. Ich hatte zwar gelesen, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder weit verbreitet ist, aber das Ausmass hat mich doch erschüttert. In einem Land, in dem konservative Stimmen so viel Gewicht haben, ist es bewundernswert, wie mutig sich die Frauen für die Betroffenen einsetzen, um ihnen zu einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen“.

PWS: Was nimmst du von dieser Erfahrung mit?

Angela: „Die Entschleunigung und das bewusste Erleben des Moments sind für mich die wertvollsten Lektionen. Das Leben in Osttimor ist langsamer, was mich dazu gebracht hat, intensiver im Hier und Jetzt zu leben – etwas, das ich versuche, in meinen Schweizer Alltag mitzunehmen, auch wenn es oft schwierig ist. Der Einsatz hat mir einmal mehr gezeigt, dass grosse gesellschaftliche Veränderungen oft durch politische Prozesse initiiert werden müssen. Diese Erkenntnis hat mich darin bestärkt, mich weiterhin politisch zu engagieren, auch hier in der Schweiz“.

Unsere beiden Freiwilligen blicken auf einen lehrreichen und prägenden Einsatz in Osttimor zurück. Sie haben wertvolle Einblicke in ein fremdes Land gewonnen, Herausforderungen gemeistert und durch ihre Erfahrungen neue Perspektiven für PWS geschaffen. Wir bedanken uns herzlich für Ihren Einsatz. In den kommenden Monaten wird PWS entscheiden, ob wir unsere Menschenrechtsarbeit in Osttimor fortsetzen werden.