Die Schweiz muss sich stärker für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen
Dies ist eine Stellungnahme des Forums für Menschenrechte in Israel / Palästina vom 26.09.2024.
Das Forum ist ein Zusammenschluss von 12 Organisationen in der Schweiz (inklusive Peace Watch Switzerland), die sich für einen menschenrechtsbasierten Ansatz im israelisch-palästinensischen Konflikt einsetzen.
Die UNO-Generalversammlung hat am 18. September mit deutlicher Mehrheit eine Resolution angenommen, die eine Umsetzung des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs zur Besetzung des palästinensischen Gebiets seit 1967 durch Israel fordert. Das Gutachten, veröffentlicht am 19. Juli 2024, kommt zum Schluss, dass die andauernde Besetzung dem internationalen Völkerrecht widerspricht, und verpflichtet Israel dazu, die Besetzung so rasch wie möglich zu beenden. Weiter fordert das Gutachten die Staatengemeinschaft auf, jede Form von Kooperation zu unterbinden, die den Zustand der Besetzung stützen würde.
Die UNO-Generalversammlung hat ausserdem die Schweiz dazu aufgerufen, als Depositarstaat der Genfer Konventionen die Vertragsstaaten zu einer Konferenz einzuladen. Deren Zweck soll die Stärkung des Schutzes der Zivilbevölkerung im besetzten palästinensischen Gebiet sein.
Das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten EDA hat sich in einer ersten Reaktion bereit erklärt, diese Konferenz innerhalb von sechs Monaten durchzuführen. Zusätzlich hat das EDA die Position der Schweiz bekräftigt, wonach die Illegalität der israelischen Besetzung des palästinensischen Gebiets ausser Zweifel sei und beendet werden müsse.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina begrüsst die Resolution der UNO-Generalversammlung und ausdrücklich die Absichtserklärung der Schweiz, die geforderte Konferenz durchzuführen. Gleichzeitig bedauert das Forum, dass sich die Schweiz der Zustimmung zur Resolution enthalten hat. Dass die palästinensische Zivilbevölkerung ausserordentliches Leid unter der andauernden Besetzung erfährt und ihr der völkerrechtlich zustehende Schutz verwehrt wird, verdeutlichen nicht nur die verheerenden Opferzahlen des Krieges im Gazastreifen, sondern auch die unverhältnismässige Anwendung militärischer Gewalt im Westjordanland in den vergangenen Wochen.
Ende August 2024 begann Israel eine umfassende Militäroperation in mehreren palästinensischen Ortschaften im besetzten Westjordanland, darunter die Städte Jenin, Tulkarem, Tubas und Nablus. Gemäss Angaben der UNO-Koordination für Humanitäre Angelegenheiten (UNOCHA) forderte die Operation seither Dutzende zivile Opfer, darunter Minderjährige.
Zusätzlich wurde relevante zivile Infrastruktur wie Wohnhäuser, Strassen und Abwasserleitungen zerstört. Mit offensichtlicher Duldung der israelischen Sicherheitskräfte haben zudem israelische Siedlergruppen seit Anfang September 81 Palästinenser:innen, darunter 41 Kinder, aus ihren Häusern vertrieben. Insgesamt sind im Westjordanland seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 laut UNOCHA 693 Palästinenser:innen getötet worden – mehrheitlich durch das israelische Militär, in zwölf Fällen durch israelische Siedlergruppen. Im selben Zeitraum hat die Armee über 4’400 Palästinenser:innen aus ihren Wohnhäusern vertrieben, darunter 1’875 Minderjährige.
Diese Gewalt im Westjordanland ist nur die jüngste Entwicklung in einer seit Jahrzehnten andauernden Kampagne Israels der Vertreibung, Enteignung und Beseitigung von Palästinenser:innen als nationale Gruppe im Westjordanland, sagt die UNO-Sonderberichterstatterin für das besetzte palästinensische Gebiet Francesca Albanese: „Es zeigt sich, dass kein Palästinenser und keine Palästinenserin unter israelischer Kontrolle in Sicherheit leben kann.“
Mit tiefer Besorgnis registriert das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina zudem die wiederholten Aussagen israelischer Regierungsvertreter, die für das Westjordanland dieselbe militärische Vorgehensweise fordern wie im Gazastreifen.
Das Forum fordert die Schweiz daher auf, ihrer bekräftigten Verpflichtung zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zusätzlich mit folgenden Massnahmen nachzukommen:
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die Angriffe auf unbewaffnete Zivilist:innen und die massive Zerstörung der städtischen Infrastruktur in mehreren Städten des Westjordanlands klar verurteilen und sich dafür einsetzen, dass Israel seine Militäroperationen im besetzten Westjordanland sofort und langfristig einstellt und die Gewalttaten der Siedlergruppen unterbindet.
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sich für den Schutz der Zivilbevölkerung und die dringende Aufstockung der humanitären Versorgung einsetzen und deshalb die Beteiligung an der Finanzierung des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) in vollem Umfang aufrechterhalten.
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sich für einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen einsetzen und den Druck auf die Konfliktparteien zur Einstellung der Feindseligkeiten auch bilateral erhöhen.
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aktiv zum Schutz der Zivilbevölkerung beitragen, indem die Schweiz alle Formen der militärischen Zusammenarbeit, militärischen Beschaffungen und des für militärische Zwecke nutzbaren Technologietransfers zwischen der Schweiz, in der Schweiz ansässigen Unternehmen und Israel bis zu einer umfassenden Friedenslösung per sofort sistiert.
Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina
26.09.2024* Stellungnahmen im Namen des Forums bedürfen einer Zustimmung durch mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder und decken sich folglich nicht zwingend mit den Positionierungen aller Mitglieder.