Osttimor regelt seinen Landbesitz

Osttimor regelt seinen Landbesitz

Von Angela Escher. Dili, Timor-Leste

«Sie wiesen uns an, unser Hab und Gut zu entfernen und unser Haus innerhalb von 21 Tagen zu räumen. Wir wussten jedoch nicht, wohin wir unsere Sachen bringen sollten. Dies ist unser Geburtsort, unser Zuhause. Wir wussten nicht, wie wir vorgehen sollten, um unser Hab und Gut zu entfernen und wo wir es unterbringen sollten.»

Julian dos Santos, aus Bidau Santa-Ana-Stadtteil von Dili, erklärt an der Pressekonferenz am 22. April 2024 mit klarer Stimme, wie die Behörden in seinem Stadtteil vorgegangen sind, um dieses zu räumen. Es ist der internationale Tag der Erde. Das nationale Netzwerk für Landrechte[1], dem HAK und weitere 23 NGOs angehören, organisiert die Pressekonferenz, um auf die aktuelle Situation der Landrechte in Osttimor aufmerksam zu machen. Die Regierung räumt aktuell landesweit Häuser. Anfangs September wird der Papst Dili besuchen und hierfür wird die Stadt hergerichtet: Gehsteige und Strassen werden repariert, Strassenhändler verscheucht und illegal (wie teils auch legal) erstellte Quartiere geräumt. Die Bewohner:innen erhalten keine alternative Wohnmöglichkeit. Einen Masterplan, der die Bevölkerung über ihr Vorhaben informiert, gibt es nicht. Während der Zwangsräumung werden zudem ihre Rechte nicht respektiert, die ihre Menschenwürde und Sicherheit garantieren sollten. Julian dos Santos Haus wurde geräumt, als es regnete. Schulbücher und Kleider der Kinder wurden nass und von den Trümmern der zerstörten Gebäude bedeckt. In seinem Quartier zerstörten sie 16 Häuser gewaltvoll.

Die teils illegal, teils legal erstellten Häuser werden mit Baggern zerstört und geräumt. Foto: Rede Ba Rai, April 2024

Gemäss der timoresischen Verfassung, hat „[j]eder (…) für sich und seine Familie das Recht auf eine Wohnung von angemessener Grösse, die ausreichenden hygienischen und komfortablen Ansprüchen genügt und die persönliche und familiäre Intimsphäre wahrt“. Die Regierung liess im April vier Stadtteile gewaltvoll räumen und vertrieb so mehr als 70 Haushalte mit je 10-15 Bewohner:innen und über 300 Marktverkäufer:innen. Weitere Räumungen von rund 300 Häusern stehen an. Die Menschen stehen nach der Räumung ihrer Häuser auf der Strasse; Nichts, das in Artikel 58 der Verfassung garantiert ist, wird eingehalten.

Julian dos Santos erzählt an der Pressekonferenz zum internationalen Tag der Erde, wie sein Zuhause brutal geräumt wurde. Rede Ba Rai - das timoresische Netzwerk für Landrechte, das die Pressekonferenz organisierte - gab so den vertriebenen Menschen eine Stimme und forderte den Staat auf, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Foto: PWS/Angela Escher, April 2024

Landbesitz in Osttimor

Timoresischer Landbesitz ist ein komplexes Thema. Der grösste Teil des Bodens in Osttimor wird traditionell bewirtschaftet und gehört einer Gemeinschaft oder einem Familienclan. Auch Einzelpersonen besitzen Boden. Manche haben zwar keine Urkunden, aber schon mehrere Generationen ihrer Familie lebten auf dem Grundstück. Während der portugiesischen Kolonialzeit oder der darauffolgenden Besatzungszeit Indonesiens stellten die jeweiligen Behörden Urkunden aus. Weitere Urkunden wurden nach dem Referendum zur Unabhängigkeit 1999 erstellt, während die UNO Osttimor verwaltete.

Während der portugiesischen Kolonialzeit hatten einige kein Geld, um die Besitzurkunde zu kaufen, weshalb sie nie eine Urkunde besassen. Viele Menschen flüchteten während der Besatzungszeit oder wurden zwangsumgesiedelt und verloren so alles. Zudem wurden Grundbücher während den Aufständen verbrannt. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 2002 bestanden bei weniger als 5% des Landes klare Besitzverhältnisse; Grundbücher waren keine mehr vorhanden. 

Die Regierung Osttimors geht die Herausforderung des Bodenbesitzes an. In der Verfassung wird festgehalten, dass nur timoresische Staatsbürger:innen Boden besitzen dürfen. Ausländer:innen und ausländische Organisationen müssen ihren Boden an den Staat abtreten. Der staatliche Bodenbesitz wird 2003 geregelt, so dass alle öffentlichen Einrichtungen der damaligen portugiesischen und indonesischen Verwaltungen automatisch Staatsbesitz werden. Seit 2017 ist das allgemeine Eigentum an Grund und Boden geregelt. Brachliegendes Land, verlassene Gebäude oder Privatgrundstücke ohne bekannten Eigentümer gehören von nun an dem Staat. Das nationale Grundbuchregister wird eröffnet und Urkunden können an die Eigentümer:innen des Bodens erstellt werden. Zudem wird bestimmt, wie Boden für nationale Interessen enteignet wird. Gleichzeitig startet das Programm „Nationales Katastersystem“ (SNC), mit dem alle öffentlichen und privaten Grundstücke in Osttimor vermessen und systematisch registriert werden sollten. Dies ermöglicht denjenigen Menschen, die bis anhin keine Dokumente besitzen, ihre Eigentumsrechte für Grund und Boden zu erhalten.

Seit 2017 ist das Gesetz zur Eigentumsbestimmung in Kraft. Gemäss diesem Gesetz darf der Küste entlang auf einem Streifen von 50 Meter nicht gebaut werden. Als hier Häuser hingebaut wurden, reagierte die Regierung nicht, nun aber lassen sie all diese Häuser räumen. Foto: PWS/Angela Escher, Juni 2024

Registrierung der Grundstücke

Das Komitee des SNC holt die Eigentumserklärungen ein: Eigentümer:innen hinterlegen ihre Besitzurkunden, einen anderen schriftlichen Beweis, dass ihnen dieses Grundstück gehört, oder händigen ein entsprechendes Formular ein. Dieses muss von drei Zeug:innen und zwei Personen der Gemeindeverwaltung (Dorfvorsteher:in, Gemeindepräsident:in oder Verwalter:in) unterschrieben werden. Sobald mehrere Personen dasselbe Grundstück anmelden, wird hierzu verhandelt und eine Vereinbarung ausgearbeitet, die den Bodenbesitz regelt.

Anschliessend werden die Grundstücke vermessen, in eine Karte eingetragen und eine Liste aller Besitzer:innen erstellt, die dem Staat wie auch Gemeindevertretenden vorgelegt werden. Sie haben 30 Tage Zeit, um die übrig gebliebenen Gebiete als staatlichen Eigentum anzumelden. Danach werden die Verzeichnisse öffentlich aufgelegt. Während 60 Tagen können sich neue Bodenbesitzer:innen melden oder Änderungen zu den Vermessungen eingeben. Auch diese Informationen werden publiziert, aufkommende Streitfälle gelöst, bis das Kataster vollständig ist. Ende 2019 hätten alle Grundstücke Osttimor vermessen sein sollen, was jedoch nicht der Fall ist.

Die gesamte Häuserreihe (links der Strasse) liegt zwischen Strasse und Fluss und soll abgebrochen werden. Es herrsche Gefahr, dass das Ufer abbrechen kann, wobei das dahinterliegende Flussbett mehrheitlich eine Kiesfläche und flach ist. Foto: PWS/Angela Escher, Juni 2024

Hürden der Registrierung

Das Netzwerk zu Landrechten kritisiert das SNC-Programm. Es ist undurchsichtig, da das SNC einerseits den Bekanntmachungsprozess der Bodenbesitzer:innen nicht immer einhält und andererseits die Öffentlichkeit nicht korrekt informiert. Menschen, die ihre Rechte und Pflichten nicht kennen, um ihr Grundstück zu registrieren, bleiben zurück. Zudem riskieren sie, ihr Land zu verlieren, wenn sie sich nicht rechtzeitig und korrekt über ihr Grundstück aussprechen. Die Fortschritte des Programms werden nicht regelmässig statistisch festgehalten und keine Jahresberichte veröffentlicht. Das Programm wird ungenau umgesetzt. Überdies werden die meisten Besitzurkunden an Männer vergeben und die Frauen bleiben unberücksichtigt zurück.

Das Netzwerk zu Landrechten setzt sich vehement dafür ein, den Prozess transparent zu machen, damit Korruption verhindert, Abläufe verbessert und das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen wird. Dies versuchen sie durch Öffentlichkeitsarbeit, gezielten Trainings in Gemeinden und Advocacy-Arbeit zu erreichen. So fordert das Netzwerk zu Landrechten im Fall der aktuellen Räumungen im Zusammenhang mit dem Papstbesuch die Regierung auf, sich an die Gesetze zu halten und bei den Räumungen der Häuser, den betroffenen Menschen eine Alternative anzubieten, und sie unterstützen die Betroffenen im Einfordern ihrer Rechte.


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[1] https://redebarai.org/?page_id=134

Nach den Räumungsarbeiten bleiben die Trümmer zurück. Foto: PWS/Angela Escher, Juni 2024

Literaturhinweis

  1. Gesetzliche Lage:
    • Recht auf Privateigentum (Art. 54 TL-Verfassung)
    • Recht auf adäquates Wohnen (Art. 58 TL-Verfassung)
    • Staatlicher Besitz von Grund und Boden (Gesetz 01/2003)
    • Eigentumsbestimmungen von Grund und Boden (Gesetz 13/2017)
    • Enteignung von Immobilien (Gesetz 08/2017)
    • Regelung der Urkunden mit Katasteraufnahme (diploma ministral 45/2016; 46/2016; 32/2023)
  2. Prozess zur Entwicklung der Rechtslage des Landbesitzes in Osttimor: https://www.laohamutuk.org/Agri/land/17LandTe.htm [Stand 25.06.2024]
  3. Anne Hennings: Kontext und Land Gouvernance: https://landportal.org/book/narratives/2021/timor-leste [Stand 25.06.2024]
  4. Fünf Merkblätter zum SNC-Programm seitens Rede Ba Rai: http://redebarai.org/?m=20190707 [Stand 25.06.2024]